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Der Name dieses 1912 erbauten Hauses geht zurück auf die Familie Robert Liebermann, die von 1920 bis 1941 hier lebte.
Friedrich Liebermann (1849-1936), ein Hamburger Bankier, kauft 1917 das Haus für seinen Sohn Robert (1883-1966). Dieser zieht 1920 mit seiner Frau Annemarie, geb. Stampe (1893-1987) und Sohn Rolf (1919-1942) hierher.
Der Bauingenieur Robert Liebermann verliert in der Weltwirtschaftskrise seinen Arbeitsplatz. Als „Jude“ findet er keine neue Anstellung, denn obwohl beide Eheleute der evangelisch-lutherischen Gemeinde angehören und auch Rolf getauft ist, gilt Robert Liebermann als Jude. Aufgrund des Glaubens seiner Vorfahren fällt er unter die Rassengesetze der Nationalsozialisten. Zur Sicherung der Existenz vermieten Liebermanns das Parterre ihres Hauses an Familie Thilo. Außerdem ziehen vorübergehend jüdische Familien ein, die sich auf ihre Auswanderung vorbereiten, um der zunehmenden Verfolgung im Deutschen Reich zu entkommen.
Volksdorfer Bürger fühlen sich durch die neuen Machthaber ermutigt, judenfeindliche Hetzparolen vor der Villa zu rufen. Beistand erfährt die Familie in dieser Zeit von Dr. Thilo und dem Nachbarn Hartjen. Nach der Pogromnacht 1938 wird Robert Liebermann im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert. Danach bringt man ihn für einige Wochen in das KZ Sachsenhausen, wo er im Steinbruch arbeiten muss.
Während Sohn Rolf als Soldat an der Ostfront kämpft, lassen die antisemitischen Sprechchöre vor dem Haus nach. Volksdorfs Ortsvorsteher bedrängt das Ehepaar, die Villa mit dem 400qm großen Grundstück der Stadt Hamburg weit unter Wert zu überlassen. Seine anfängliche Weigerung muss Robert Liebermann mit erneuter „Schutzhaft“ in Fuhlsbüttel bezahlen. Die Familie wird nun zu Verkaufsverhandlungen gezwungen, 1941 wechselt die Villa ihren Besitzer und Liebermanns ziehen aus. Sie wohnen jetzt in Hummelsbüttel, von wo aus Robert Liebermann täglich zu Fuß bis in die Innenstadt gehen muss. Dort leistet er Zwangsarbeit in einem Schuhgroßhandel. Als „Jude“ darf er nicht die U-Bahn benutzen.
1942 fällt Rolf im Alter von 22 Jahren in Russland.
1941 bis 1945 vermietet die Stadt Hamburg die Räume des Hauses an Privatpersonen.
Nach Ende des Krieges 1945 bietet man dem Ehepaar das Haus „Im Alten Dorfe 61“ wieder an. Nach allem, was sie erlebt haben, lehnen Liebermanns jedoch ab. 1952 kaufen sie ein Haus am Sarenweg in Wohldorf/Ohlstedt.
1945 zieht die Polizeidienststelle Volksdorf im Erdgeschoss ein. Der Verein „International Police Association“ mietet die oberen Etagen. Auch während der folgenden 60 Jahre, in denen das Haus als Polizeidienststelle genutzt wird, sprechen die Volksdorfer von der Liebermann-Villa.
Seit 2006 erinnert ein „Stolperstein“ vor dem Haus „Im Alten Dorfe 61“ an das Schicksal seiner Namensgeber.
Nach dem Auszug der Polizei im Jahr 2008 steht die Villa leer. Ein Bruchteil des ursprünglichen Grundstücks ist ihr als Standort geblieben. Die überwiegende Fläche verkauft die Stadt Hamburg an einen Investor, der vier Gebäude mit 17 Eigentumswohnungen darauf errichtet.
2010 erwirbt der Bergstedter Architekt Gerhard Nickel die inzwischen denkmalgeschützte Villa und führt außen und innen eine historisch gerechte Grundsanierung und technische Modernisierung durch. Im Parterre und ersten Stock richtete Dr. Tobias Jahn seine Zahnarztpraxis ein. Im Dachgeschoss befinden sich die Arbeitsräume des Eigentümers.
2012: Zum Einhundertsten Geburtstag erstrahlt die alte Liebermann-Villa in neuem Glanz.